Zum Thema von gestern passt ein Artikel aus der Januar-Ausgabe von Le Monde diplomatique. Eric Klinenberg schreibt unter dem Titel „Der Wolf als Ente“ einen etwas widersprüchlichen Essay darüber „was sich an den Falschmeldungen im Internet ablesen lässt.“ Wie der Titel kaum vermuten lässt, geht es ihm eher um den ungleich verteilten Zugang zu digitalen Angeboten, was gemeinhin unter dem Begriff „digitale Spaltung“ gehandelt wird.

Die digitale Spaltung

Nach seinen Angaben haben 21 Prozent der AmerikanerInnen – die USA sind seine Perspektive – 2005 das Internet überhaupt nicht genutzt. Wohlhabende und gebildete Schichten verfügten weit häufiger über einen Internet-Anschluss als ärmere (oder Menschen weißer und asiatischer Herkunft häufiger als Menschen farbiger oder lateinamerikanischer Herkunft). Die Nichtverfügbarkeit eines Anschluss, so der Autor, bedeute eine klare Benachteiligung in vielen Situationen: Beim Hurrikan „Katrina“ habe es z.B. im Internet weitaus mehr und vor allem realistischere Informationen und Augenzeugenberichte gegeben, als in den etablierten Medien (hier vor allem das Fernsehen). Das Leben der Schwarzen in New Orleans kam ebenso wenig vor wie die Stadt außerhalb des Zentrums.

Hier sprang nola.com in die Bresche, die Onlineausgabe der lokalen Tageszeitung The Times Picayune. Hier konnten Besitzer eines Internetzugangs wirklich authentische Nachrichten von Angehörigen finden oder später Katastrophenhilfe beantragen, was per Telefon offenbar nicht möglich war. Ein Internetzugang bedeutet in diesem Fall die Chance zur Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben und muss laut Klinenberg als „unverzichtbare öffentliche Versorgungsleistung“ gelten, so wie Wasser, Gas oder Strom.

Nachrichten im Netz: Agenturmeldungen und News-Recycling

Der Autor preist in vielen Einzelbeispielen das Internet als Gegengewicht zu den etablierten Medien, während er zugleich vor der Machtausweitung der etablierten Konzerne in eben diesem Netz warnt. Die Internetausgaben großer Tageszeitungen oder Zeitschriften gelten als glaubwürdiger und werden weitaus häufiger gelesen als die Seiten ausgesprochener Internet-Firmen (wie Google, AOL, Yahoo usw.). Letztere hätten kaum eigene Inhalte aufzuweisen, sondern würden nur Agenturmeldungen wiederkäuen, die ja auch der Zeitung und den Fernsehberichten zugrunde liegen. Hier fehlen aber, sowohl bei den Internet-Content-Anbietern wie auch häufig schon bei den „alten Medien“ in ihren Internet-Ausgaben, Redakteure, die Agenturmeldungen durch eigene Recherchen ergänzen und verifizieren. Der Internet-Nutzer konsumiert also schlechtere Nachrichten aus denselben Quellen wie früher, nur anders aufbereitet und zusammengestellt. Zweitklassiges Material und „die Wiederverwertung von Berichten aus den Morgenzeitungen“ dominiere.

Langweilige Lokalzeitung oder Blog aus dem Kiez?

Erfundene Nachrichten (ein Beispiel ist die Saga von der gefährlichen Chemikalie DHMO) verbreiten sich im Internet natürlich besonders schnell, machen die Nutzer misstrauisch und treiben sie erst recht auf die Websites der großen Medienproduzenten. Diese investieren jedoch immer weniger in Lokalberichterstattung und Nachrichten aus erster Hand. Das können Internet-Portale und Websites verschiedener „Kieze“ besser, sie bieten Kontakt- und Informationsmöglichkeiten, die in keiner Lokalzeitung zu finden sind (Beispiel: die Gotham Gazette) in New York. Genau hier sind aber benachteiligte Bevölkerungsgruppen wieder ausgeschlossen.

Wieder geht es um die zerstörte Illusion, dass sich die im „realen Leben“ kränkelnde Demokratie und Chancengleichheit im „virtuellen Leben“ kurieren lasse. Doch natürlich setzen sich reale politische Entwicklungen im Internet fort oder spiegeln sich dort.

Web 2.0: Es menschelt gewaltig

Was das alles mit Web 2.0 zu tun hat? In der ganzen Diskussion fehlt mir der Faktor Mensch. Er ist es, der das Web 2.0 ausmacht. Warum treibe ich mich in Blogs herum und weniger auf Internetseiten etablierter Medien? In Blogs und Foren begegne ich Menschen, die ihre Meinung äußern, auf den Seiten etablierter Anbieter auch, doch hier sind diese Meinungen häufig als objektive Wahrheit getarnt und darum nicht weniger tendenziös. Ein Blogger zeigt mir sein „Gesicht“ (vielleicht verfälscht, aber zumindest individuell), ein auf Unabhängigkeit bedachter, professioneller Journalist hält sich da eher zurück.

Und das Problem: Die etablierten Zeitungen meinen, ihre finanziellen Probleme durch Entlassungen von Redakteuren lösen zu können. Die Kommentar- und Feuilletonseiten schrumpfen und werden mit recycelten Agenturmeldungen notdürftig aufgefüllt, auf Papier wie in der digitalen Version. Im „Web 2.0“ aber finde ich Menschen, die mit Begeisterung für andere, ihre Besucher, Leser und Mitblogger, Nachrichten aufbereiten, ihr Expertenwissen teilen, die manchmal Schrott liefern, häufig aber wertvollen „Content“ (das nächste Unwort des Jahres?), und all das serviert mit Hingabe und großer Hilfsbereitschaft. Wie schon gestern gesagt: Die 5 Prozent Nicht-Schrott reißen es heraus.

Wa-rum in die Ferne schwei-fen, lebt der Nach-bar doch so na-ha?

Das Web 3.0 wird wahrscheinlich gar nicht vor lauter toller Ajax-Tools strotzen, sondern etwas ganz Einfaches bieten: Nachbarschafts-Online-Kommunikation. Wie ich ja seit dem letzten Stuttgarter Webmontag weiß, bringt persönliche Bekanntschaft mit den Nutzern dem Betreiber einer Seite (Blog, Community) die besten Nutzerzahlen. Und warum fahre ich wohl ab und zu mit der Gemeinde der Liebhaber von Olympus-Digitalkameras des E-Systems in Deutschland herum? Weil das Fotografieren mehr Spaß macht, als darüber im Internet zu schreiben, und weil das Schreiben übers Fotografieren mehr Spaß macht, wenn ich meine Adressaten kenne. So einfach ist das.

Vielleicht bringt es das Web 2.0, 3.0 und beyond sogar einmal fertig, dass wir unsere Nachbarn wieder persönlich kennenlernen. Auf dem Umweg übers Internet.