Ralf Spieß habe ich über meine Fotogruppe bei Volker Schöbel, den hier schon mehrfach erwähnten fortlaufenden Stuttgarter VHS-Kurs „Kunst des Sehens“ kennengelernt. Ralfs Fotos und seine offene Art, über Fotografie zu sprechen, faszinieren mich, daher möchte ich ihn und einige seiner Arbeiten heute vorstellen. Ich habe ihm ein paar Fragen gestellt und um Fotos aus einer Serie gebeten, die mir im Kurs besonders gut gefallen hatte:

Ralf Spieß: „Abschied“
(für große Version aufs Bild klicken)

Ralf Spieß: Abschied I

Ralf Spieß: Abschied II

Ralf Spieß: Abschied III

8 Fragen an Ralf Spieß

1. Wie bist du zur Fotografie gekommen?

Das ist lange her. Während des Studiums, so mit 20 Jahren, habe ich begonnen, analog mit einer SLR zu arbeiten. Ich entdeckte bereits damals meine künstlerischen Ambitionen, doch aus Spar- und Kostengründen habe ich mich immer sehr eingeschränkt. Jede Aufnahme zensiert, bevor ich auf den Auslöser drückte.

Der Durchbruch kam dann vor ca. 5 Jahren mit der vermeintlich seelenlosen Digitaltechnik. Seither sind ausufernde fotografische Experimente möglich, ohne finanziellen Ruin fürchten zu müssen. Meine Bilderwelt hat sich seither sehr gewandelt.

2. Welchen Stellenwert hat die Fotografie in deinem Leben – was bedeutet sie dir?

Die Fotografie ist ein Mittel, mich künstlerisch mit meiner Umwelt auseinander zu setzen. Dabei stehen für mich subjektive Wahrnehmungen und Stimmungen im Vordergrund. Für mich ist Fotografie ein seelischer Prozess, in dem meine Innenwelt mit der Außenwelt reagiert.

Außerdem liebe ich an der Fotografie das Statische, die Konzentration auf den Augenblick, die Möglichkeit zur Langsamkeit. Ich genieße es, die Zeit anhalten zu können, sie einzufrieren, sie auf einen Punkt zu konzentrieren, sie zurückzudrehen.

In der Fotografie und anderen Formen des künstlerischen Ausdrucks lebe ich einen wichtigen Teil meiner Persönlichkeit.

3. Wie gehst du beim Fotografieren vor? Gehst du von einem Konzept aus oder passiert es eher spontan?

Beides.

Oft nehme ich den Fotoapparat spontan in die Hand. Dann entstehen sehr viele Aufnahmen in sehr kurzer Zeit. Rationales Denken, Planen, Konzipieren, Abwägen, Verwerfen findet nicht statt. Ich lass es einfach laufen.

Andere Projekte gehe ich gezielt an. Ich mache mir vorher meine Gedanken, plane, bereite mich vor. Beim eigentlichen Umsetzungsprozess verlasse ich mich dann wieder auf meine Intuition

Am heimischen Rechner durchläuft das digitale Rohmaterial dann einen zweiten, wichtigen Schaffensprozess. Wenn mich eine Aufnahme berührt, nähere ich mich ihr mittels eines Bildbearbeitungsprogramms, das es mir ermöglicht, sie spontan und aus dem Gefühl heraus in kurzer Zeit zu beeinflussen.

Für den Weg aufs Fotopapier schließlich benutze ich einen einfachen, technisch überholten Inkjet-Drucker, der den Ausdrucken eine mir sympathische Unvollkommenheit verleiht.

Diesen Effekt versuche ich neuerdings zu steigern, indem ich manuell Einfluss nehme. So kann ich der beliebigen Reproduzierbarkeit veredelter, virtueller Bilddaten etwas Sinnliches, ganz und gar Substanzielles entgegensetzen. Ich will in meiner Arbeit als ihr Schöpfer spürbar bleiben.

4. Nach welchen Kriterien würdest du ein Foto als gelungen bezeichnen?

Wenn es mich emotional berührt. Wenn es authentisch ist und ich glaube, etwas von dem Menschen hinter der Kamera zu spüren. Und natürlich muss mich die Bildästhetik ansprechen.

Ein gutes Foto ist nach meiner Auffassung eines, das in der Seele des Betrachters Resonanz erzeugt.

Dabei kommt es für mich auch auf den Zeitpunkt der Betrachtung an. Im Laufe meiner persönlichen Entwicklung haben schon manche Fotos ihre Bedeutung für mich verloren. Das geht mir auch mit eigenen Arbeiten so.

5. Welche fotografischen Vorbilder hast du, und warum?

Viele, wenn man deren Inspirationen für meine eigene Arbeit betrachtet.

Keine, wenn man ein Vorbild als etwas verstehen will, das ich versuche zu imitieren.

Immer neue, sobald meine Neugier geweckt wird.

Derzeit sind es Sally Mann und Jan Saudek.

Ich mag die Intimität bis hin zur Morbidität in den Fotografien Sally Manns. Ihre Arbeit ist atmosphärisch aufgeladen. Sally Mann zeigt gegensätzliche Zeitebenen, Schönheit und Unschönheit, existente, vergehende, vergangene. Materie und Geist. Sie legt diese Ebenen wie Schichten aufeinander. Sie gewährt überraschende und manchmal verstörend ungeschützte Einblicke in ihr Leben. Die verwendete Fototechnik ist dabei Teil des Konzeptes. Das Nassplatten-Collodium-Verfahren ist handwerklich, umständlich und unvollkommen. Dabei erzeugt die oft verletzte lichtempfindliche Schicht auf der belichteten Glasplatte eine Sinnlichkeit, die sich mit Händen greifen lässt.

Bei Jan Saudek findet eine Sensibilität im Sinne Sally Manns einen kompromisslos männlichen Ausdruck in praller, ungeschminkter Lebenslust. Er liebt und zeigt das Leben wie es ist – und die unverblümte, selbstbewusste Weiblichkeit seiner Modelle als einen wesentlichen Teil davon. Saudek ist ein sensibler und potenzstrotzender Kerl zugleich, der einen klaren Standpunkt nicht scheut.

Es sind viele meiner Themen, die ich in den Fotografien der beiden wiederfinde. Die Aufnahmen gehen mir unter die Haut, jedesmal wenn ich sie betrachte.

6. Wie bildest du dich fotografisch weiter?

Im Tun, im Betrachten und im Austausch über Fotografie.

Z.B. bei Volker Schöbel in der „Kunst des Sehens“. Diese Gruppe ist ein relevanter Bestandteil meines photografischen Lebens. Hier geht es um Menschen und deren subjektive Sichtweisen, um Gefühle und Haltungen, um Bildästhetik, um die Frage, was denn wohl Kunst sei. Ich mag die offene Atmosphäre bei Volker, die Fülle von Angeboten und Meinungen, das Fehlen von Festlegungen.

Einige meiner mir wichtigen Arbeiten gehen auf Inspirationen dieses Kurses zurück.

7. Welche Themen beschäftigen dich zur Zeit?

Das Abbilden von Zeit- und Seelenräumen. Die Geschichten im Kopf der Betrachter meiner Fotografien. Die Verstärkung von Emotionalität durch Abstraktion. Experimentelle Prozesse. Der Mensch und der Sinn seines Daseins.

Dann gibt es noch meine Liste mit ganz unterschiedlichen Einzelprojekten, die darauf wartet, abgearbeitet zu werden.

8. Welche Fotos präsentierst du mir und den Schauplatz-Besuchern heute, und welche Bedeutung haben sie für dich?

Ich habe Fotos gewählt, die das von mir Gesagte illustrieren sollen. Es sind zwei kleine Serien, jeweils 3 Aufnahmen aus umfangreicheren Bildreihen.

Beide entstanden situationsbedingt spontan. „Abschied“ kanntest du schon. Du hattest mich anlässlich dieses Interviews darauf angesprochen, daher habe ich sie gewählt. „Zerfreila“ soll durch einen anderen Gefühlsaspekt die Wirkung von „Abschied“ kontrastieren. Die Fotos erzählen dem Betrachter Geschichten, die nur er kennt. Sehr mysteriös – gefällt mir.

Wer sich auf die Fotos einlassen kann, erfährt etwas über mich und ggf. auch etwas über sich selbst. Daher sind die Fotos wichtig – es geht mir um Menschen, die Sehenden, die Gesehenen und die Betrachtenden.

Ralf Spieß: „Zerfreila“
(für große Version aufs Bild klicken)

Ralf Spieß: Zerfreila

Ralf Spieß: Zerfreila

Ralf Spieß: Zerfreila