Für meinen Eifel-Urlaub im Oktober hatte ich mich pflichtschuldigst mit dem Hauptwerk einer prominenten Vertreterin der Regionalliteratur gerüstet: Clara Viebigs „Weiberdorf“. Erst nach meiner Rückkehr in die Welt der Autos und Arbeitsplätze (vulgo: Stuttgart) machte ich mich an die Lektüre. Der Roman Clara Viebigs, die eigentlich gar keine echte Eiflerin war (mehr über sie in der Wikipedia), spielt in einem kleinen Dorf namens Eifelschmitt. Wie in seinem Vorbild, dem real existierenden Ort Eisenschmitt, wird das Leben hier – man schreibt die 1870er Jahre – das ganze Jahr über von den Frauen bestimmt. Die Männer arbeiten nach dem Niedergang der örtlichen Eisenhütten als Gastarbeiter in den Stahlwerken an Niederrhein und Ruhr und kehren nur zweimal im Jahr für kurze Zeit in ihre Heimat zurück.

Naturalismus à la Viebig: Falschmünzer und lockere Sitten

In der Zwischenzeit sind die Frauen sich selbst überlassen, sie kümmern sich um die Familien, bestellen das Feld und umschwärmen – im Roman – den einzigen jüngeren Mann, der aufgrund seiner schwachen Konstitution im Dorf bleibt und so der berühmte Hahn im Korb ist. Der als aufbrausend und wankelmütig, aber sympathisch beschriebene Mann wird mehr durch Zufall und eine gewisse moralische Trägheit zum Falschmünzer. Er steht aber nur scheinbar im Mittelpunkt der Geschichte. Deren eigentliche Heldinnen sind die Frauen, die als selbständig, lebenslustig, nach damaligem Verständnis geradezu lasterhaft beschrieben werden: Sie lassen nichts anbrennen. So geriet das Buch denn auch auf den Index der katholischen Kirche, und Viebig wurde Jahrzehnte lang als Nestbeschmutzerin beschimpft. Sie zeigt aber, in gewissen Anflügen von Naturalismus, dass die moralischen Schwächen der Eifler von ihrer Armut bestimmt sind, und dass die Geistlichkeit (hier in Gestalt eines bornierten, naiven Pastors) nicht immer die besten Lösungen für die Nöte des einfachen Volkes bereit hält. Gelegentlich kommt einem das Buch vor wie eine Light-Version des schweren, Hauptmann’schen Naturalismus, aber die bedrückende Armut wird immer wieder durch Dialoge und Naturbeschreibungen aufgelockert. (Die Natur allerdings muss immer wieder zur Illustration des Schicksals herhalten, wo Gewitterwolken Unheil verkünden und die Strahlen der Morgensonne Hoffnung. Das Ganze aber mit einer fast subtil zu nennenden, eigenen Note: gar nicht so schlecht. Und schließlich war Frau Viebig Bestsellerautorin und musste gewissen Kompromisse eingehen …)

Eifel und Hunsrück: gottverlassene grüne Hügel

Nach gewissen Gewöhnungsschwierigkeiten, das Buch ist im Dialekt geschrieben und voller Dialoge und lokaler Redewendungen, hat mich die Geschichte dann doch gepackt. Sie gibt seltene Einblicke in die Nöte der Menschen vor über hundert Jahren, und erstaunlich, wie frei und lebendig die Autorin die Geschichte erzählt. Zumal mich der Dialekt an die Sprache der Heimat-Trilogie von Edgar Reitz erinnert, die ja im Hunsrück spielt – gerade gegenüber der Eifel auf der anderen Seite der Mosel gelegen. Man sagt „dau“ für „du“ und „dat“ für „das“ und nimmt allgemein kein Blatt vor den Mund. Die Landschaft dazu kann ich mir nun bestens vorstellen, da ich ja in meinem Urlaub gar nicht so weit weg von Eisenschmitt gewohnt habe, nämlich in dem sage und schreibe 341 Einwohner zählenden Ort Bleckhausen.

Fotos aus der Eifel gibt es auf  Keen Eye Photography)

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die Eifel natürlich noch andere Autoren beherbergt, unter anderem Krimischriftsteller, aber darüber hatte ich mich ja an anderer Stelle bereits ausgelassen.

Die Eifel als „zweite Heimat“?

Zu dem Buch passt, dass J. und ich es endlich geschafft haben, uns die zweite Heimat-Staffel (Die zweite Heimat) relativ günstig auf DVD zuzulegen. Ein Stoff, der süchtig macht. Große, heute zum Teil vergessene SchauspielerInnen spielen dicht in authentischen, sehr gut fotografierten Szenen. (Das Drehbuch gibt es hier, Infos zu der gesamten Trilogie u.a. auf den Fanseiten von Thomas Hönemann.) Den ersten zweistündigen Film haben wir uns letztens angesehen: Das „Hermännsche“ in München, wo er Musik studieren will und aufgrund seiner tragischen Erfahrung in Heimat 1 jeder Liebe abschwört. An der Musikhochschule zeigt sich jedoch schon bald eine weibliche Gestalt, die diesen Entschluss ins Wanken bringen wird … Und man erlebt seine Ehrfurcht vor den Protagonisten der Neuen Musik.

Bei der ersten Staffel fühlte ich mich von der Landschaft des Hunsrück und auch von dem geschilderten Dorfleben, bereits sehr in meine eigene Heimat zurückversetzt, die südniedersächsischen Hügel um Göttingen im schönen Leinetal. Ein ähnliches Gefühl hatte ich in der Eifel. Eine Gegend, in der man stundenlang herumwandern kann, ohne einen Menschen zu treffen … grün, einsam und ein wenig rauh. Unspektaktulär und darum Balsam für die Seele.