Endlich mal wieder ein Theaterbesuch. Wie lange ist es her: Lieber nicht drüber nachdenken … Immerhin haben wir es schon in die Stuttgarter Oper geschafft, mit Freude über das Ergebnis (Richard Strauss‘ „Elektra„). Das wäre aber ein anderer Artikel gewesen, bevor es diesen Blog gab …Wir gingen also gestern ins Wilhelma-Theater, wo die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst ihre Stücke aufführt. Ein sehenswertes Haus übrigens, für das König Wilhelm I. von Württemberg verantwortlich ist. Es wurde 1840 eingeweiht und erst 1985 nach langem Leerstand renoviert, im „pompejianischen Baustil“ (was das heißt, seht ihr hier ). Durchaus ein kleines Juwel, auf das wir mehr oder weniger zufällig stießen, diesmal bei der Suche nach einer Antwort auf die samstägliche Frage: „Was machen wir heute abend? Bloß nicht wieder vor dem PC hocken …“.
Zurück zum Stück: Tankred Dorst, geboren 1925 und laut Wikipedia „einer der am häufigsten gespielten Gegenwartsautoren auf deutschen Bühnen“, hat das Stück zusammen mit Ursula Ehler verfasst (die trotzdem bei der Autorenangabe meist nicht auftaucht. Warum eigentlich?). Der Zauberer Merlin tritt in diesem Stück als Sohn des Teufels auf, hamletisch zerrissen und in offensichtlicher Konkurrenz zum Gottessohn. Er macht sich Gedanken um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, inszeniert blutige Schlachten um König Artus und seine Ritter der Tafelrunde und dirigiert auch gleich noch Parzival und seine Gralssuche. Diese Ereignisse sind turbulent und ideenreich inszeniert, äußerst kurzweilig, wenn auch in ihren Zerstörungs- und Blutorgien manchmal etwas übertrieben. Im Publikum sitzen, wie zu erkennen ist, vor allem Kommilitonen und Eltern. Einige Ältere verlassen schon im ersten Teil den Saal, viele folgen in der Pause ihrem Beispiel, was Jürgen und ich nicht nachvollziehen können. Blut und Dreck sind ja nicht unbedingt realistisch inszeniert und kommen auch bei weitem nicht an das heran, was man bei manchen Shakespeare-Tragödien aushalten muss. Die teilweise sehr guten Schauspieler-Leistungen hätten eigentlich alle Zuschauer bei der Stange halten müssen. Ist Stuttgart wirklich so bieder und konservativ?
Laut Stuttgarter Nachrichten konzentriert sich der Regisseur Titus Georgi in seiner Inszenierung „auf das Scheitern der Tafelrunde als Chronologie des Wirkens durchgeknallter Egomanen von der Steinzeit bis in die Gegenwart“. Und weiter der Rezensent Horst Lohr am 20.2.2006:
Zwar ist die eine oder andere Szene zu oberflächlich auf Effekt getrimmt, dennoch gefällt die gut dreistündige Aufführung wegen ihrer vielen sarkastisch-poetischen Bilder und wegen eines durchweg gelungenen Ensemblespiels. Mit großer Spiellust und teils bemerkenswerter Präsenz zeigen die jungen Darsteller das Rittergefolge um König Artus (Folkert Dücker: ein langmähniger und denkschwacher Messias-Verschnitt) als zusammengewürfelten Haufen aus Repräsentanten der verschiedenen Entwicklungsstadien des Abendlandes. In Tierfell, eiserne Rüstung oder T-Shirt gehüllt, zertrümmern sie mit dem Holzschwert die Fassade ihrer Kultur. (…) Im ständigen Hin und Her zwischen infantilem Kriegsspiel und Lethargie versammelt sich diese Gemeinschaft affektierter Schwachköpfe nicht am berühmten runden Tisch der Gleichheit. Vielmehr kultivieren sie bei ausgedehnten Arbeitsessen mit Hähnchenschlegeln und Illustriertenlektüre entlang einer Fallgrube geistigen Leerlauf – die Utopie von der Vorherrschaft westlicher Kultur stürzt in den Orkus der Trivialität.
Die durchaus teilweise durchscheinende Trivialität wirkt im Stück überraschenderweise aber nicht abschreckend. Vielmehr finde ich das In-Frage-Stellen des Gralsmythos und der Minne-Ethik berechtigt und vielfach sehr originell. Ausgesprochen gut hat mir der Darsteller des Parzival gefallen (Julian Greis, der auch noch den König von Cornwall und Sir Persant spielen musste). Er verkörpert das kindlich-unschuldige Gemüt gekonnt auf der Gratwanderung zwischen Komik und Tragik. Sehr gut auch Sonja Dengler als Teufel und Maria Munkert als Ginevra, die sich eine tolle Rivalinnen-Szene mit Lisa Friedrich als Elaine liefert (falls ich die beiden jetzt nicht verwechselt habe, da mir der Ablauf der Story nicht mehr präsent ist).
Alles in allem ein toller Theater-Abend, der mein Vorurteil bestätigt hat, dass an Schauspielschulen oft starke Talente zu entdecken sind.
P.S.: Jürgen, der mal bei einer Grindkopf-Inszenierung die Hauptrolle spielte, hat es auch sehr gut gefallen.
Danke für den netten Text. Wir spielen im Mai noch 3 Mal, falls Sie Werbung machen wollen.
Grüße,
Julian Greis im Auftrag des Jahrganges