Ganz einfach, könnte man meinen: Raus auf die Straße, und los. Ganz so einfach ist es aber nicht. Mir stellen sich dabei zwei Herausforderungen: eine psychologische und eine technische.
Straßenfotografie wörtlich genommen
Die psychologische Herausforderung: Meine (natürliche) Scheu davor, den Menschen zu nahe zu kommen, mich aufzudrängen, sie durch mein Fotografieren zu belästigen. Diese Scheu lässt sich wohl nur durch Übung und noch mehr Übung überwinden. Zudem muss es Wege geben, Menschen zu fotografieren, ohne sie zu belästigen.
Die technische gestalterische Herausforderung: Wie fotografiere ich überhaupt, wann sind Straßenfotografien „gut“, wie mache ich mich unsichtbar? In einem kleinen Video über den Fotografen Joel Meyerowitz führt dieser seine Methode vor und empfiehlt:
- an Straßenecken warten, auf Menschenansammlungen achten, Interaktionen und Gesten beobachten
- spontan sein, immer wach, auf Unvorhersehbares gefasst sein und reagieren
- sich unsichtbar machen: durch selbstbewusste Körpersprache den Menschen signalisieren, dass sie ihm vertrauen können, dass sie sich verhalten können, als sei er gar nicht da
- unpassende Elemente kombinieren
- das Fotografierte durch den Rahmen der Fotografie aus dem Alltag herausheben
Er fotografiert schon seit 40 Jahren auf den Straßen von New York, aber irgendwie will mir die Übertragbarkeit seiner Methode – er hüpft herum, fotografiert im Vorbeischweben, die Menschen reagieren tatsächlich kaum auf ihn – auf den Ludwigsburger Marktplatz oder auch die Innenstadt von Stuttgart nicht recht einleuchten. Doch ich bin gewillt, es auszuprobieren. In Straßburg werde ich mich in den nächsten Tagen darin üben können.
Die rechtlichen Skrupel, die heute viele haben, kommen hinzu. Auf die rechtliche Seite möchte ich aber nicht eingehen, da haben sich schon einige Kollegen geäußert, so etwa Peter Feldhaus vom Sonic Blog, Tim vom Fotonews-Blog, Martin vom Public Eye Blog. Das Thema wird immer wieder in Foren und Blogs thematisiert, sicherlich auch weil es da nicht nur bei Amateuren eine große Unsicherheit gibt.
Literatur zum Thema scheint es kaum zu geben. Einige wenige Bildbände und sonst überwiegend historisch ausgerichtete Werke wie die neue Geschichte der Straßenfotografie von Clive Scott („Street Photography. From Atget to Cartier-Bresson“, London 2007, bei Lindemanns bestellen) – das ist alles, was man findet. Keinerlei lehrbuchartige Werke, die sich speziell mit Straßenfotografie beschäftigen. Das Thema scheint sich für Patentrezepte nicht zu eignen.
Kennt jemand ein empfehlenswertes Buch zum Thema? Und wie geht ihr bei der Straßenfotografie vor? Habt ihr eine „Methode“, oder läuft alles spontan?
Hallo Claudia,
ich halte das Video – mit Verlaub – für ziemlich hanebüchen. Ein Fotograf, der sich durch Körpersprache „unsichtbar“ machen möchte, ohne Distanz Leute fotografiert und vom Recht am Bild ziemlich wenig Ahnung zu haben scheint. Ich habe vergleichbare Situationen erlebt, da hat eine Frau versucht einem jungen Mann die Kamera aus der Hand zu schlagen, als er sie am Bahnsteig fotografiert hat. Kann ich nachvollziehen…
Ich bin kein Jurist, aber nach meiner Erfahrung sind Situationen unbedenklich, wo man auf öffentlichen Plätzen mehrere Leute auf einem Bild hat. Wenn überhaupt Einzelporträts sollte man fragen, finde ich. Und wer Ausstellungen oder Bücher plant, wird ohne eine schriftliche Einverständniserklärung nicht auskommen.
Für alles dazwischen – einzelne Personen unbemerkt fotografiert für private Zwecke – bleibt die lange Brennweite. Und das private Album oder vielleicht noch eine Mappe mit Arbeiten für Bewerbungen o.ä.
Jeder Fotograf / jede Fotografin kann sich ja selbst überlegen, wie er auf ein Bild von ihm auf einer fremden Website zB reagieren würde. Und da ich kaum eine Fotografen-Website kenne, auf der sich der Lichtbildkünstler mit einem normalen Foto zu erkennen gibt (meistens sieht man nur irgendwelche Umrisse oder das Gesicht ist von der Kamera verdeckt) brauche ich auch nicht lange nachzudenken, wie die Antwort ausfallen wird.
Das soll jetzt nicht allzu pessimistisch klingen. Ich denke, man muss halt auf die Leute zugehen und fragen. Und mit Absagen leben können. „Abschießen“ ist keine gute Lösung.
Viel Spaß dabei!
Joachim
Hallo Joachim, antworte dir von unterwegs … ich war ob des Videos einfach nur milde amuesiert ob der amerikanischen Chuzpe. Hatte gerade in Strassburg auf dem Wochenmarkt ein nettes Erlebnis mit einer Schmuckverkaeuferin. Sie war begeistert und hat mir ihre Adresse zum Zuschicken der Fotos gegeben. Generell haben die meisten hier recht freundlich reagiert. Zudem habe ich nicht vor irgendwas davon gross zu veroeffentlichen. Mir ging es auch wie gesagt nicht um die rechtlichen Fragen. Es gibt ja viele Moeglichkeiten, Leute auch nicht erkennbar zu fotografieren und trotzdem Atmosphaere rueberzubringen.
Hier noch zwei Seiten, die sich mit Straßenfotografie befassen:
http://www.seconds2real.com/
http://www.streetzen.net/index.php
Und natürlich ist und bleibt Straßenfotografie ein Thema im Public Eye Blog.
Straßenfotografie ist eine der wenigen Möglichkeiten, einen unverstellten Blick auf Gesellschaft, auf Generationen, auf Menschen im Öffentlichen Raum festzuhalten.
Hätten wir nicht die Bilder von HCB, Frank, Ronis, Winogrand, Doisneau u. a., wir könnten nicht in Ausstellungen und Bildbänden mit so offenem Blick in ihre Zeit und Gesellschaft zurückschauen.
Deshalb: take the risk!
Danke für deine Gedanken und die Links, Martin. Leider war dein Beitrag im Spamfilter gelandet gerade wegen der Links (ich stelle den Filter jetzt mal etwas freundlicher ein).
War heute übrigens in der HCB-Ausstellung „The Early Years“ (siehe meinen neuesten Beitrag). Sie ist wirklich sehenswert, viele noch wenig gesehen e Aufnahmen, Informationen über ihn (z.B. ein Filmporträt). Ich schreibe wahrscheinlich noch einen kurzen Bericht darüber.
Super Artikel ! Gefällt mir sehr gut, vor allem weil das Thema ja so ein brisantes und viel diskutiertes ist. Ich selbst spreche Menschen nicht an, sondern mache mich unsichtbar und hoffe, dass mich niemand bemerkt.
Diese Hürde zu überwinden scheint eine der grössten Herausforderungen zu sein, die die Strassenfotografie mit sich bringt.
Danke jedoch für die Erinnerung, Strassenfotografie liebe ich so sehr, aber oft vergesse ich die Möglichkeiten, die sie mit sich bringt. Viele Grüsse !
Die Scheu legt man schnell ab, fang einfach an belebten (Touri)-Orten an.
Guido
zu meyerowitz , (bruce gilden)ist folgendes auf jedenfall anzumerken , die new yorker
haben einen selbstschutz aufgebaut , dh , sie sehen andere nicht an, das hat wohl auch mit raubüberfällen und ähnliche belästigungen zu tun .. in London kann man dieses verhalten auch sehr gut beobachten.. nicht umsonst leben fast alle bekannten streetfotografen in n new york oder london 🙂
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wie guido steenkamp schon schrieb touri-orte (venedig ,paris ) sind gut um zu beginnen und nicht aufzufallen , auch sehr gut sind CSD,karneval,loveparade,schlagermove etc. sowie kirmes ,volksfeste aller art
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eine weitere spielart ist die abstraktion der situation ,die auch häufig das rechtliche problem löst ..dh . die menschen sind nur schemenhaft zu erkennen oder von hinten fotografiert oder nur körperteile ..
aber das ist sehr schwer, bei der reinen königsdiziplin streetfotografie (im herkömmlichen sinne )noch einen drauf zu packen ,so das abstraktion und street im bild wirken