Jetzt muss ich mich doch einmal einmischen in die unzähligen Webdiskussionen: Ich lese heute in der Telepolis die Nachricht von einer britischen Studie, nach der nur noch 13 % der schriftlichen Kommunikation handschriftlich erfolge und die Briefkultur „tatsächlich bereits weitgehend untergegangen“ sei. Unter anderem heißt es dort auch:
Die Studie macht noch einmal bewusst, dass die Mediennutzung eine Generationenfrage ist. So schreiben noch 39% der über 65-Jährigen auf Papier, bei den 15-24-Jährigen sind es gerade noch 5%. Handschriftliche Papierkommunikation ist nicht nur langsam und umständlich, vermutlich geht auch die sensomotorische Fertigkeit des Schreibens und Entzifferns verloren. Zumal wenn man seine eigene Handschrift nicht mehr lesen kann, wird man möglichst auch andere Menschen nicht mehr damit belästigen wollen. Aber auch innerhalb der schriftlichen Kommunikation mit elektronischen Medien gibt es große Unterschiede. So hat Email allgemein einen Anteil von 49%, bei den Jüngeren aber nur noch einen von 28%. Dafür benutzen diese sehr viel stärker SMS oder Instant Messaging, was die schriftliche Kommunikation weiter verdichtet und verknappt, aber auch auf die Erwartung hindeutet, schneller eine Antwort zu erhalten oder eben die Schrift dem Gespräch anzunähern.
Interessant sind nun weniger die Ergebnisse dieser Studie als das, was die Telepolis-Leser dazu sagen. Einer schreibt zum Beispiel:
Gut zu wissen, dass ich nicht in dieses Schema passe. 🙂
Handy – nope. TV – nope. Instant Messaging – nope. Radio – vielleicht ne halbe Stunde in der Woche. Telefon ca. 3€ im Monat (hauptsächlich Kontakt zu Eltern und Oma, und Behördenscheiß). Der Hauptteil meiner Kommunikation läuft direkt, von Mensch zu Mensch, hier im Forum oder per Email.
Dass dieser fleißige Kommentator sich etwas darauf zugute hält, nicht in ein „Schema“ zu passen, ist verständlich. Interessanter, wenn nicht geradezu erschütternd ist, dass er E-Mail- und Foren-Kommunikation als „direkte“ Kommunikation „von Mensch zu Mensch“ auffasst. Dass zwischen den kommunizierenden Menschen Tastatur, Rechner, Datenübertragung, Rechner, Bildschirm stehen, von geographischer Entfernung ganz zu schweigen, ist ihm offenbar nicht bewusst.
Dies drückt wohl zweierlei aus:
- für die Medien konsumierenden Menschen (immerhin hat der Autor des Forenbeitrags bei Telepolis innerhalb von zwei Jahren mehr als tausend Beiträge verfasst) sind direkte menschliche Kontakte und Kontakte per E-Mail oder Internet-Forum kaum noch unterscheidbar, und
- die Frage nach dem handschriftlichen Schreiben und ihren Auswirkungen auf die menschlichen Beziehungen wird ausgeklammert. Hier wird es allerdings erst richtig interessant …
Handschriftliche Mitteilungen als Beweis von Zuwendung
Wie es ist, eine Serien-E-Mail oder SMS als Geburtstagseinladung zu erhalten, weiß wohl jeder. Wie fühlt es sich an, nur einer von vielen Menschen zu sein, der diese Seriennachricht bekommt? Früher gab es einen handschriftlichen Brief, zwar manchmal mehrfach kopiert, aber doch nie ohne ein paar persönliche Zeilen am Ende, die deutlich machten, dass sich der oder die Einladende auf mich, und gerade auf mich, besonders freut!
Das alles ist nicht wirklich neu, aber mich fasziniert immer wieder, wie widersprüchlich die viel beschworenen Auswirkungen der „schnellen Medien“ sind. Auch ich empfinde nämlich E-Mail oder Forenbeiträge, oder Blog-Kommentare (;-), als „direkte Kommunikation“. Direkt wohl deshalb, weil die Entfernung keine Rolle mehr spielt. Weil die Zeit, die sonst zwischen Schreiben eines Briefs und Empfangen der Antwort verging, durch das Internet so zusammengeschnurrt ist. Indirekt ist sie, was die emotionale Seite angeht. Die Auseinandersetzung mit meinem Gegenüber kann ich, wenn ich will, völlig ausklammern. Wenn ich sie suche, geht sie oft schief. Nicht umsonst eskalieren so viele Internet-Diskussionen innerhalb kürzester Zeit, und es kommt zu Machtkämpfen und wahren Meinungsschlachten, die kaum noch etwas mit der Sache zu tun haben.
Übrigens ist gerade das Tempo, mit dem ich einen Forenbeitrag tippe, oft der Grund für spätere Missverständnisse: Sitze ich mit einem Briefbogen im Café und schreibe einen handschriftlichen Brief, lasse ich mir jeden Satz und so manche Formulierung mehrfach durch den Kopf gehen. Bei Internet-Meinungsäußerungen könnte ich das zwar auch tun, aber die Versuchung ist eben größer, es nicht zu tun. Auf „Absenden“ klicken, ist eben so viel leichter, als den Brief einzutüten, zu adressieren, eine Briefmarke aufzutreiben und dann noch daran zu denken, ihn einzuwerfen …