Unter dem wohltuenden Titel „Endlich Ruhe“ schreibt Ariel Magnus heute in der taz eine vergnügliche, lesenswerte „persönliche Liebeserklärung zum hundertsten Geburtstag der Firma Ohropax„. Oh(r) wie ich mich darin wiedererkenne! Täglich schließe ich beim Einsteigen in die S-Bahn Wetten darüber ab, ob mich auch bei dieser Fahrt wieder das Schicksal in Form der sieben Geißeln des Nahverkehrs treffen wird:
- Nachbar mit elektronischem Ghettoblaster, dessen Ohrhörer 90 Prozent des Schalls durchlassen
- Nachbarin mit einer schwäbischen Abart der Logorrhoe nebst durchdringender Stimme
- gegenüber sitzendes Paar mit krankhaft übersteigerter Sozialkompetenz (vulgo: Schwätzsucht)
- dreißigköpfige Grundschulklasse im gleichen Waggon
- siebenköpfige Gruppe pubertierender Halbstarker
- veralteter Waggon, an dem die Türen doppelt laut zuschlagen und die Bremsen mit dreifacher Lautstärke quietschen
- Kombination von 1. bis 6. in beliebiger Anzahl
Auch sonst leide ich im Alltag häufig unter audiophober Überempfindlichkeit. Sei es der schreiende Konversationston der Nachbarin von gegenüber, sei es das morgendliche Wagenstarten vor unserem Haus (sprich: neben meinem Bett), seien es der mich stets und ständig außerhalb der Wohnung umgebende Verkehrslärm oder die Musikberieselung in Supermärkten oder Restaurants. Noch in der größten Stille und Idylle kann ich in eine Krise geraten, wenn ich auch nur von ferne ein Flugzeug grollen höre.
Der gute Herr Magnus hat mich in seinem Artikel über die Bezeichnung dieser meiner „condition“ aufgeklärt: ich bin eine „Geräuschhysterikerin“. Aha. Ich finde, ich bin normal, nur die Welt ist schlicht zu laut. Aber ich bin auch blöd: Nie verreise ich ohne Ohropax, aber auf die Idee, es in der S-Bahn oder an sonstigen geräuschterroristischen Orten zu benutzen, bin ich noch nie gekommen. Ich werde es definitiv ausprobieren.
Und bevor jemand auf die Idee kommt, Alternativen vorzuschlagen: Es gibt nichts, was besser wirkt. Punkt. Ach ja, so siehts übrigens aus (Ohropaxler, bitte seht mir den Bilderklau nach: Ich mache ja Werbung für euch!):
Beruhigend übrigens, dass wir Deutschen mal für etwas anderes gerühmt werden als für Schubert, Schwarzbrot oder Sch… schsch… : Für taz-Autor Ariel Magnus jedenfalls ist, seit seiner Rückkehr nach Argentinien, Ohropax das deutsche Produkt, das er am meisten vermisst. Ein Steak bekommt nur gegrillt, wer ihm eine Zwanzigerschachtel von den gelben Wachszylindern mitbringt.
Und er setzt eine Tradition fort: Schon Kafka und Grass liebten Ohropax. Für mich steht fest: Wer einen derart schönen Artikel schreiben kann, dessen Bücher müssen schleunigst ins Deutsche übertragen werden: aber immer schön leise!