Wim Wenders, einer der bedeutendsten Regisseure Deutschlands, besuchte im vergangenen Juli das Festival „Stage on Screen/Screen on Stage – International Festival of Performing Arts&Media Ludwigsburg„. In einem Werkstattgespräch erzählte er von seinem Projekt „Pina“ (Trailer siehe weiter unten): ein 3D-Film über das Tanztheater Pina Bauschs, der aufgrund ihres plötzlichen Todes im letzten Jahr ohne sie gedreht werden musste. Der Film wird am Sonntag auf der Berlinale uraufgeführt, am 24.2. kommt er in die deutschen Kino. Anlass genug, meine Notizen vom letzten Sommer aufzufrischen und zu ergänzen:
Vor der Veranstaltung drängte sich ein buntes Publikum aus Filmstudenten und Kino-Interessierten im Foyer. Dann sah ich von der Treppe aus, über die Köpfe der Menge hinweg, wie der Regisseur durch den Haupteingang hineinkam und gleich in den Kinosaal verschwand. Mist, dachte ich: Zur richtigen Zeit am falschen Ort. Doch Wim Wenders durchquerte den Kinosaal und kam beim Hinterausgang wieder raus in Richtung Toilette. Dort in der Nähe war ich also strategisch günstig platziert. Kurze Zeit später stellte sich Herr Wenders denn auch für mich an die schöne, rot gestrichene Wand des Foyers …
Wim Wenders als Fotograf
Wim Wenders ist nicht nur Regisseur, sondern interessiert sich auch für Fotografie: Mit sieben begann er zu fotografieren, mit zwölf hatte er seine eigene Dunkelkammer, mit siebzehn seine erste Leica. Heute ist er mit einer Fotografin verheiratet und fotografiert immer noch. Entsprechend eingeschüchtert fühlte ich mich als kleine Hobbyfotografin vor dem großen Meister. Völlig unnötigerweise natürlich, denn er war ausgesprochen freundlich und zugänglich. Zu seinem Bild passt seine Aussage aus der späteren Diskussion:
Wenn ich ein Porträt in schwarzweiß sehe, dann denke ich über den Menschen: „Das ist ein Mensch.“ Sehe ich dasselbe Porträt in Farbe, denke ich: „Das ist er vielleicht.“
Sein erster Satz in der Veranstaltung, vor einem gespannten Publikum, das mit 3D-Brillen ausgerüstet war, lockerte die Stimmung ein wenig auf:
„Ich sehe Sie auch ohne Brille in 3D – das können wir ja alle seit der Geburt.“
Die Geburt einer Idee
Einen Film über das Tanztheater der Choreographin Pina Bausch zu drehen, war „ein uralter Traum“ von Wim Wenders. Schon seit er Mitte der 1980er Jahre in Venedig die ersten Stücke von ihr sah, war er begeistert. Er entdeckte das damals noch nicht so verbreitete Tanztheater als eigenständige Kunstform („Ins Ballett bringen mich keine zehn Pferde!“) und wünschte sich sofort, die Aufführungen verfilmen zu können. Aber wie? Der Tänzer lebt vom Raum, es ist sein Lebenselixier – der Film aber läuft auf einer flachen Leinwand. Wie kann man beides zusammen bringen?
Die beiden „Kollegen“ befreundeten sich. Mit den Jahren merkte Wenders immer deutlicher, dass Pina Bausch eine riesige Last zu tragen hatte: Wie konnte sie ihre Stücke, die es nicht gab, wenn sie gerade nicht aufgeführt wurden, für die Nachwelt erhalten? Wim sagte zu Pina: „Ich möchte deine Stücke verfilmen, aber ich weiß nicht, wie’s geht!“ Dieser Dialog wiederholte sich fast bei jeder Begegnung der beiden als eine Art Running Gag. Währenddessen interessierte sich Wim immer stärker für die neue Technik im Kino: 3D. Er drehte einen kurzen Dokumentarfilm in alter 3D-Technik, arbeitete an einer Installation für die Biennale in Venedig. Als er dann 2007 einen halbstündigen Konzertfilm über U2 in 3D sah – U2 3D –, kam der Punkt, wo er Pina anrief und sagte: „Jetzt weiß ich, wie’s geht!“
Pina stirbt – der Film lebt weiter
Leider starb Pina unmittelbar vor dem ersten 3D-Testdreh mit dem Ensemble in Wuppertal. Daraufhin wurde erst einmal alles gestoppt:
Neu filmen lernen in 3D
Von nun an ging alles ganz schnell. Noch immer war Wim Wenders nicht ganz zufrieden mit der aktuellen Technik, während der Testaufnahmen begriff er, dass sich die Fehlerquellen von 2D in 3D potenzieren:
„Wenn man z.B. mit Tänzern auf der Bühne schwenkt, kann es schnell passieren, dass das Bild stroboskopisiert, also unnatürlich ruckelt. Bei 2D weiß man, wie man das vermeidet. Man muss langsamer schwenken. Auf 3D schien es gar nicht vermeidbar zu sein. Jede schnelle Armbewegung eines Tänzers produzierte den Eindruck, als sähe man für einen Bruchteil einer Sekunde zwei, drei oder vier Arme. Film gibt ja auch nicht jede Bewegung auf der Leinwand flüssig wieder, nur haben wir uns praktisch angewöhnt, das nicht mehr zu bemerken. Bloß in 3D war jeder optische Fehler plötzlich dick und fett zu sehen.“
Mit einer höheren Bildfrequenz zu drehen, also mit 50 statt 24 Bildern pro Sekunde, war zwar möglich, aber in den Kinos nicht abspielbar – auch das zuständige Norminstitut in den USA ließ sich nicht erweichen. Schon James Cameron hatte sich mit Avatar daran die Zähne ausgebissen, was man laut Wenders an den Aufnahmen mit realen Menschen auch merkt. Doch bei Camerons schnellen Schnitten tritt das in den Hintergrund. Für den Pina-Film kam so etwas nicht in Frage.
Spannend, wie Wenders auf der Veranstaltung von der Veränderung des Films durch die neue technische Entwicklung erzählt:
In 3D wird Unschärfe im Vordergrund als unangenehm empfunden. Zoomen in 3D ist ausgeschlossen und „irgendwie auch widersinnig“ – Anlass für die Wiedergeburt der Festbrennweite, und das „ist ja auch eine feine Sache“. Ist im Vordergrund etwas angeschnitten, so wirkt das anders als in 2D sehr irritierend für das Auge. Die Bildästhetik funktioniert anders, das Volumen des Raums wird inszeniert. Lange Brennweite funktionieren nicht, da sie die Körper flach wirken lassen wie Scherenschnitte.
Auf eine Zuschauerfrage, ob „wir jetzt auf der filmsprachlichen Ebene verkümmern“, antwortet der Regisseur: „Ja, zuerst wohl schon.“ Bei technischen Neuentwicklungen sei das immer so – als Ton und Farbfilm aufkam, habe man sich auch zunächst, begeistert von der neuen Technik, nur auf die Technik konzentriert und das Geschichten erzählen vergessen.
Beim Pina-Film wurden im Herbst 2009 noch die drei Stücke „Café Müller“, „Le Sacre du printemps“ und „Vollmond“ aufgezeichnet – mitsamt 3D-Kameras auf der Bühne. Diese wurden noch mit zwei großen Sony-1500-Kameras gedreht, dazwischen ein schwerer, halbdurchlässiger Spiegel, der eineinhalb Blenden schluckt – die ganze Apparatur war an einem riesigen Kran montiert. Wenders: „Ein ferngesteuertes Monster, an dem fünf Leute die ganzen Funktionen bedienen mussten.“ Was das für eine Herausforderung für alle Beteiligten gewesen sein muss, zeigt das Making of „Vollmond“ für Pina. Schon fünf Monate später beim zweiten Dreh wurde fast ausschließlich mit einer Steadycam gedreht.
Das Ziel bei aller Technik war jedoch, einen 3D-Film zu drehen, bei dem die Technik nicht auf sich selbst aufmerksam macht – sie soll nicht aufdringlich sein, sondern schlicht die Tänzer in Beziehung zum dreidimensionalen Raum zeigen. Ob das gelungen ist, davon können wir uns ab 24. Februar im Kino überzeugen.
(Quellen: eigene Fotos, Werkstattgespräch mit Wim Wenders auf dem StageonScreen-Festival in Ludwigsburg, PINA-Presseheft, filmpresskit. Rechte der Videos beim Verleih nfp.)
Nachtrag vom 11.2.2011: In der Süddeutschen von heute gibt es ein Interview mit Wim Wenders zum Film (leider nicht online verfügbar).
Nachtrag vom 12.2.2011: Heute im ZDF-Morgenmagazin wurde Wim Wenders auf der Berlinale live über seinen Film befragt. Das in der ZDF-Mediathek noch zu sehende Interview beginnt bei Minute 02:47.