Was Bücher und Fachwerk gemeinsam haben, lehrte uns am Wochenende der 19. Alt-Hohenecker Büchermarkt im Ludwigsburger Stadtteil Hoheneck. Das jährliche Ereignis ist ein Treffpunkt aller Buchliebhaber und Bücher-Loswerden-Woller, Sammler und Antiquare. Zwischen hübschen alten Häusern, um die Kirche herum und in den Gassen bieten zahlreiche Menschen ihre Bücher an, und noch mehr Menschen kommen, um zu stöbern.
Geistiges Zentrum ist offensichtlich Bernd Brauns „Antiquariat Alt-Hoheneck„, das aber jedem Buchsucher stets offen steht: Bücher bringen, Bücher holen und das Geld in die Sammelkiste einwerfen: das geht 24 Stunden am Tag. Fast wie im Internet.
Eine Unterhaltung mit dem rührigen Antiquar Holger Degutsch ergab allerdings reichlich pessimistische Perspektiven: Für die Antiquare lohnt sich die Anreise zu solchen Märkten kaum noch, das Hauptgeschäft laufe übers Internet. Schon die Fahrtkosten rauszubekommen, scheint ein Problem zu sein. Die Büchersammler bedienen sich über den ZVAB, wo heutzutage, wie mir ein büchersammelnder Kollege bedauernd versicherte, jede vermeintliche Rarität fünfzigfach angeboten werde:
Man braucht sich nur das Angebot heraussuchen, das einem preislich am meisten zusagt, und schon bekommt man es zugeschickt. Die Freude an der Jagd ist dahin. Da macht es keinen Spaß mehr.
Das ist schade. Trotzdem hat es uns Spaß gemacht, bei Privatleuten, Kindern und Profis nach neuen und alten Fundstücken zu stöbern. Das Tolle an solchen Märkten ist schließlich, dass man Bücher findet, von denen man nicht wusste, dass man sie sucht. Übers Internet kann man nur gezielt suchen, hier kann man ungezielt finden. Das macht schließlich am meisten Spaß, oder?
Finden kann man hier zum Beispiel wunderschöne ornithologische Tafeln aus dem Parey Verlag, vielleicht 1m mal 80 cm groß, wahlweise „Buchfink“ (verschiedene, allerliebst gemalte Ansichten) oder „Bussard“ (wozu dann auch der Rot- und Schwarzmilan gehören). Leider konnte ich mich nicht dazu durchringen, die 45 € auszugeben …
Außerdem gibt es ja immer auch die verschrobenen Sammler zu sehen … Wenn auch nicht mehr so viele kommen: einige sind noch übrig. Ineinander verwachsene Bücherwurmpaare, schütterhaarige, lesesesselbäuchige, sozialphobische Buchkistenumwälzer, ganz normale Menschen, die Pilzbestimmungsbücher suchen, und weitere Kuriositäten.
Und morgen verrate ich euch, welche Schätze ich erstanden habe ;-).
Also ich verrate welche Bücher ich dort erstanden habe:
– Ernest Hemingway: wem die stunde schlägt
– Nagib Machfus: Zwischen den Palästen
– Salman Rushdie: MItternachtskinder
Und eigentlich wollte ich höchstens ein Buch kaufen … aber dann!
Es stimmt natürlich schon: Leider geht durch das immer stärkere Fokussieren der Antiquare auf das doch recht schlecht gemachte und immer noch allzu textbasierte ZVAB (wie auch die katalogbasierten Magazinbibliotheken) ein großer Teil der „Serendipity“ ( http://de.wikipedia.org/wiki/Serendipity ) und damit auch der Freude an der Entdeckung verloren. Da ist sogar eBay mit seinen Galerie-Features noch sinnlicher erfahrbar. Und mit den diversen Angeboten ab 1 Euro, die auch eine gewisse Aufregung entstehen lassen.
Andererseits brauchen sich die Antiquare auch nicht beschweren, wenn niemand mehr in den Laden kommt. Ich habe bei meinen Antiquariatsbesuchen (und auch Flohmarktbesuchen) in letzter Zeit festgestellt, dass sich überhaupt keine Schnäppchen mehr machen lassen, sondern dass alle Neueingänge nach ZVAB bepreist werden. (Und auch dort gleichen sich die Preise für gleiche Bücher immer mehr an.) Die Bewertung funktioniert aber offenbar nicht nach dem biligsten ZVAB-Preis, sondern wohl nach so einer Art Mittelwert. Es wäre also einfach Dummheit der Käufer, vor dem Kauf nicht nochmal im ZVAB nachzuprüfen. Denn außer bei Ramschware für wenige Euro (wo das Porto eine erhebliche Rolle spielt) kommt man dann im ZVAB einfach billiger weg. Solange die Antiquare das nicht ändern, kauft auch niemand mehr was im Laden, von dem er nicht schon genaue Marktkenntnis hat. Natürlich sind Mieten und Personalkosten in Läden höher, aber außer dem Spaß am Finden (der sich oft genug in schlecht sortierten Neuheitenkisten unter muffiger Begleitung des Personals einstellensoll) muss zumindest für einen Teil des Sortiments auch ein pekuniärer Anreiz dafür da sein, in den Laden zu kommen.
Das Geschäft via Internet ist für die Antiquariate mit mehr Aufwand und mehr Risiko verbunden. (Rechnung schreiben, Verpacken, zur Post bringen und auf die Zahlung der Kunden warten – mitunter vergeblich). Für mich ist verständlich, wenn sie darüber nicht glücklich sind. Aber ich denke, ohne Internet hätten sie einen noch geringeren Umsatz. Die Zahl der Jäger und Sammler geht zurück unabhängig von Preis, Angebot und Service.
Was mache ich mit den ausgesonderten Beständen aus meiner privaten Bibliothek? Bringe ich sie ins Antiquariat, bekomme ich mitunter auch nicht die Fahrtkosten heraus. Biete ich sie via Internet (z.B. Booklooker) an, bekomme ich im Falle eines Verkaufes einen höheren Preis. Habe ich ein „Schnäppchen“ eingestellt, ist der erste Interessent in der Regel ein Antiquar, der das Buch für einen Kunden sucht oder zu einem höheren Preis erneut ins Internet einstellt oder im Laden verkauft.
Suche ich einen bestimmten Titel und gehe mit meinen Wünschen ins Antiquariat, lande ich vielleicht einen Zufallstreffer. Erteile ich einen Suchauftrag, sucht der Antiquar im Internet. Das kann ich selbst von zu Hause aus bequemer.
Antiquariatskauf ist Vertrauenssache. Zum Stöbern gehe ich in ein Antiquariat, von dem ich weiss, dass das Sortiment meinen Lektürewünschen entspricht und ich nicht über den Tisch gezogen werde. Warum soll ich kistenweise Buch-Club Ramsch der 60ger und 70ger Jahre durchwühlen, wenn ich Erstausgaben aus der Inselbücherei oder Originalausgaben der ersten hundert Bände RoRoRo Taschenbücher aus den 50gern suche? – Büchermärkte sind wahrscheinlich bestenfalls dazu geeignet, für die thematischen Schwerpunkte eines Antiquariats neue Käuferschichten zu erschliessen, sie sind eher Schaufenster und Werbung als Verkaufsveranstaltung (den Umsatz nimmt man natürlich mit!!). Feld-, Wald- und Wiesenantiquariate dürften eine schweren Stand haben.
Danke für eure fachkundigen Beiträge.
Ich selbst verstehe nicht wirklich viel vom Antiquariatsgeschäft. Bin keine Raritätensammlerin, eher Gelegenheitskäuferin. Aber ich bedaure es schon, dass der Wert von Büchern sich sehr zu verändern scheint: Das neue Buch wird teurer (und bringt, je besser ausgestattet, den Verlagen und Buchhändlern doch umso weniger ein), während das alte Buch immer mehr an Wert zu verlieren scheint, ideellem wie finanziellem. Und mit „altes Buch“ meine ich nicht die kostbaren Raritäten, die auf Antiquariatsmessen zu vier- bis zehnstelligen Preisen angeboten werden, sondern die Masse der wenige Jahre bis einige Jahrzehnte alten Bücher des modernen Antiquariats. Ein sorgsam eingebundener, wie neu erhaltener Roman im Hardcover (Neupreis 18,90 Euro) für 3,50 Euro oder ein Penguin-Reprint von 1979, Neupreis 75p, für 1 Euro. Letzteres interessiert einen fachkundigen Antiquar sicherlich kaum und bringt ihm nichts ein, aber für mich als Leserin mit kleinem Geldbeutel ist es ein Schnäppchen.
Aus meinen häufigen Antiquariatsbesuchen der 1980er und 1990er Jahre, wo ich als Schülerin und Studentin fast alle meine Bücher beschafft habe (heute komme ich kaum mehr dazu), erinnere ich mich auch noch gut an das teilweise kaum überschaubare Angebot und die Aura aus Zynismus und Arroganz, in die sich besonders die Antiquare mit dem besseren Angebot hüllten. Als „ahnungslose“ Kundin fühlte ich mich da nicht unbedingt zum Wiederkommen ermuntert.
Meine Suche nach Informationen darüber, wie eigentlich die Bedingungen des Antiquariatsgeschäfts aus Sicht der Anbieter heute sind, hat immerhin Folgendes zutage gefördert: den Verband deutscher Antiquare e.V., der auf seinen Seiten neben Brancheninformationen auch interessante Buchtipps gibt, dort den Hinweis auf einen Artikel über den Verband, der im Januar in der FAZ erschien, der aber außer den Stichworten „Anonymisierung und Unübersichtlichkeit“ leider auch nicht viel Konkretes über die neueren Entwicklungen in der Branche enthält.
Da hilft vielleicht folgender Buchtipp, der ebenfalls von dort stammt: das Fachbuch „Der Antiquariatsbuchhandel. Eine Fachkunde für Antiquare und Büchersammler“ von Bernhard Wendt und Gerhard Gruber.
Ganz klar. Bücher altern würdevoller — leider auch schneller.