Unser aller Leseberaterin Elke Heidenreich serviert uns heute in der SZ diverse Begründungen dafür, dass sie auf Anfragen nach Tipps für die Urlaubslektüre meist nicht oder nur verschnupft antwortet. Typisch für Elke H. – diese ihre ausführliche, verschnupfte Antwort an sich ist auch schon ein Lesevergnügen. Wir erfahren, dass bestimmte Bücher, die sie in verschiedenen Lebensphasen in den Ferien gelesen hat, ihr die Seele oder zumindest die Stimmung retteten, welche Bücher das waren und warum. Wir erfahren auch: „Wer nicht weiß, was er im Urlaub lesen soll, ist ohnehin für die Bücher verloren.“ Und andererseits: „Im Urlaub soll man zu sich kommen, das geht am besten mit Natur, Bewegung, Wein und Liebe.“
In meinem Urlaub im leider schon lange vergangenen Mai in Griechenland ging das so:

Typisch Griechenland: Wein(en) bei Sonnenuntergang

Urlaub ohne Buch, aber mit Wein

Als „Natur“ nehmen wir hier mal das Meer, das sich uns täglich in seiner veränderlichen Schönheit präsentierte. Bewegung ist in dem Bild nicht zu erkennen, sieht man von der Bewegung ab, mit der die Sonne sich allabendlich ins Meer fallen ließ, so dass man kaum schnell genug Blende und Belichtungszeit anpassen konnte. Wein – offensichtlich. Liebe – … ich schweife ab.
Gelesen haben wir jedenfalls auch. Ich glaube sogar, das war der leseintensivste Urlaub, den wir jemals hatten. Das hat Licht- und Schattenseiten, aus denen ich die fünf Lektüretipps für den Urlaub ableite:

  1. Möglichst keine Reißer und Schmöker lesen, die einen nicht mehr los lassen und letztendlich von aller Aktivität (Bewegung!) abhalten können. Ein Beispiel dafür ist Stieg Larssons Trilogie „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“. Wer diese drei Romane oder auch nur einen davon mit in den Urlaub nimmt, ist selbst Schuld, wenn er die tolle Landschaft (Natur!) verpasst, in die er mühsam gefahren – geflogen – geradelt – gewandert ist. Die Bücher sind nicht nur Bestseller, sondern auch noch saugut, und am Ende muss man darüber weinen, dass der Autor nach Vollendung der Trilogie verstorben ist und uns keine weiteren Suchtbände schenken wird. Also: Hände weg!
  2. Löblich ist das Bestreben, sich mit der Urlaubslektüre zugleich über das Land zu informieren, in dem man weilt – selbst wenn es das eigene ist, über das man bekanntlich als Inländer selbst nie genug weiß. Das kann klappen, muss aber nicht. Manchmal ist die vorgeblich landestypische oder informativ-erbauliche Literatur entweder langweilig, oder sie gibt sich so spröde, dass man das Buch erst gar nicht aufklappen mag oder nach fünf Seiten genervt in die Ecke pfeffert. Um mit Elke H. zu sprechen:

    „Wir müssen in dem bisschen Urlaub nicht endlich Musil schaffen oder Proust, wir sollten lesen, was Freude macht, und wenn es Freude macht, gar nicht zu lesen, na gut, dann eben gar nicht. (…) man darf auch, wenn es nicht gefällt, ein Buch mit aller Kraft in die Ecke pfeffern, besser, als es mit verkniffenem Zitronengesicht am Strand zu Ende zu lesen.“

    Ich stimme ihr da voll und ganz zu. Damals im Herbst in der Eifel bin ich von Clara Viebigs „Weiberdorf“ ziemlich schnell  zu den Eifelkrimis übergewechselt. (Oder hab ich die erst hinterher gelesen?) Mein bildungsbürgerlich beflissener Kauf von Arthur Machens „The Hill of Dreams“ vor dem Urlaub in Wales hat sich auch nicht wirklich gelohnt – das Buch steht noch heute ungelesen im Regal.

  3. Aus Punkt 1 und 2 folgt, dass Urlaubsbücher kurzweilig, aber nicht zu aufregend sein sollten. So wie man sich ja angeblich bei mitteleuropäisch wechselhaftem Wetter am besten erholt (Hitze = ungesund), sind Extreme auch bei der Urlaubslektüre zu vermeiden. Deshalb an dieser Stelle ein paar Hinweise auf Bücher, die keine Seitenumblätterer (neudeutsch: Pageturner) sind, aber trotzdem kurzweilig, die Unterbrechungen nicht übel nehmen (ab und zu muss man zu Moussaka und Ouzo mal den Standort wechseln, oder?), und die zum Teil sogar lehrreich sind:
    • Jürgen Neffe: „Darwin. Das Abenteuer des Lebens– uneingeschränkte Empfehlung. Ein wirklich gut geschriebenes Buch des Wissenschaftsjournalisten Neffe, der auf Darwins Spuren um die halbe Welt gereist ist, immer der Route der „Beagle“ nach, der dabei seine Beobachtungen beschreibt und uns nebenbei noch auf interessante Weise nahebringt, wie Darwin seine Theorie von der Entstehung der Arten entwickelt hat. Das Buch lässt sich auch kapitelweise lesen, und man kommt immer wieder schnell rein.
    • Klaus Modick: „Der kretische Gast“ – ich bin zwar erst auf Seite 56, aber jetzt schon ganz angetan. Der Roman würde sich für einen Griechenland-, insbesondere einen Kreta-Urlaub eignen, aber ich lese ihn im schnöden Alltag. Hier der Klappentext:

      Johann Martens soll auf der von den Deutschen besetzten Insel prüfen, welche Kunstgegenstände sich als Raubgut für Hitlers germanisches Museum eignen. Gemeinsam mit dem Kreter Andreas erkundet er auf einem alten Motorrad die Mittelmeerinsel und wird mehr und mehr von der griechischen Lebenskunst und nicht zuletzt auch von Andreas‘ Tochter Eleni angezogen. Als eine todbringende Razzia der deutschen Besatzer das Dorf von Andreas und seiner Familie bedroht, muss Johann entscheiden, auf welcher Seite er steht. Immer tiefer wird Martens in die Wirren des Partisanenkriegs verstrickt. Während sich alte Gewissheiten auflösen, geraten sein Leben und seine Liebe in größere Gefahr denn je zuvor…

      Schnöde verrissen wurde das Buch bei seinem Erscheinen, wie man im Perlentaucher nachlesen kann, aber egal – mir gefällt, dass der Mann mit seiner Muttersprache umgehen kann, und dass das Buch auf Kreta spielt, ist auch kein Schaden :-).

    • Elizabeth Gilbert: „Eat pray love oder eine Frau auf der Suche nach allem quer durch Italien, Indien und Indonesien“. Wer etwas Lustiges lesen möchte und sich für Yoga und Meditation interessiert, könnte diese Lektüre genießen. Möglicherweise empfiehlt es sich, das Buch auf Englisch zu lesen, da manche Rezensionen bei Amazon nahelegen, dass der Ton des Originals in der Übersetzung nicht so recht rüberkommen. Ich kenne die amerikanische Fassung und fand sie sehr gelungen.
  4. Jetzt habe ich drei Buchtipps gegeben und von fünf Büchern mehr oder weniger eindeutig abgeraten. Wie komme ich von hier auf die fünf heißen Lesetipps, die ich im Beitragstitel versprochen habe? Ach ja, Punkt 4 könnte sein, dass man sich zum Lesen eine möglichst bequeme und angenehme Umgebung schaffen sollte, damit man nicht so schnell aufgibt. Wie zum Beispiel diese:
    Hier hält man es auch ohne Buch aus. Aber lesend sieht man einfach intellektueller aus!

    Urlaub ohne Wein, aber mit Buch

    Oh, hier doch noch ein echter heißer Tipp: Wer nicht in die Ägäis, sondern in pazifische Gegenden reist, und auch alle anderen, wird sicher Freude an Yann Martels „Schiffbruch mit Tiger“ haben – ein wunderbares, poetisches, philosophisches Buch, das man einfach toll finden muss. Es handelt von einem Inder („Pi Patel, Sohn eines indischen Zoobesitzers und praktizierender Hindu, Christ und Moslem“), der mit einer Hyäne, einem Orang-Utan, einem verletzten Zebra und einem bengalischen Tiger Schiffbruch erleidet. Was die fünf auf dem Meer erleben, glaubt man nicht und glaubt es wieder doch, immer wieder muss man lachen, manchmal weinen, und meistens freut man sich einfach daran, dass dieser Autor eine so wunderbare Phantasie hat.

  5. Von Deutschland aus ist das Elsaß nicht weit. Wie weit es aber selbst für unmittelbare Nachbarn sein kann, weiß Tomi Ungerer zu berichten, der in „Die Gedanken sind frei“ von seiner Kindheit im Elsaß in den 1940er Jahren berichtet. Das ist lustig, berührend, spannend, erstaunlich und nicht zuletzt deshalb kurzweilig, weil der Zeichner das Buch mit zeitgenössischen Illustrationen und eigenen Zeichnungen aus der Kindheit spickt.

So, wer jetzt noch nicht weiß, was er im Urlaub lesen soll, ist selber schuld. Oder wohnt in einem der Bundesländer, wo die Ferien schon vorbei sind. Und kann vielleicht über seine Ferienlektüre berichten?

Frau Heidenreich danke ich für die Inspiration durch ihren SZ-Artikel – deshalb gebührt Ihnen das letzte Wort. Sie haben Regeln für Urlaubslektüre aufgestellt, und erst jetzt sehe ich, dass Sie mit mir einer Meinung sind, wenn Sie „das gesunde Mittelmaß“ empfehlen. Da der Artikel leider nicht online abrufbar ist, obwohl die Wochenendausgabe ja noch gilt (1,50 € im Einzelabruf – pfui, SZ!), hier zum guten Schluss die Regeln als Zitat:

  • Am Mittelmeer nichts über Nordpoleroberung lesen, in den Bergen keine Seefahrererromane.
  • Beim gemeinsamen Urlaub Vorsicht mit großen Eheromanen, im Singleurlaub besser keine Liebesgeschichten, schon gar keine, die gut ausgehen, aber die gibt es ja sowieso kaum. Wenn doch, heult man sich tot.
  • Keine Bildungslektüre [hätte ich das vor dem Wales-Urlaub gewusst!] und nicht das ganz Seichte, das gesunde Mittelmaß hat im Urlaub Konjunktur, also schön erzählte gute Geschichten.
  • Eher Erzählungen als dicke Romane.
  • Eher komisch als tragisch.
  • Nicht schon wieder Stalin, Weltkrieg zwei oder Kolonialismus, ruhig mal Kindheitserinnerungen, Biographien, und endlich mal die liebsten Bücher von damals überprüfen: halten sie noch stand?