„Und wen interessiert das?“ ist die häufigste Frage von Freunden oder Bekannten, wenn ich ihnen von meinem Blog (neuerdings: Blogs) berichte. Wenn ich dann versuche, die Faszination und meinen Antrieb beim Bloggen zu beschreiben, komme ich ins Schwimmen. Ich weiß es selbst nicht so genau, oder besser: Es gibt mehrere Gründe, mal ist der eine wichtiger, mal der andere.

Diese Sinnfrage stellen viele Blogger sich selbst und zum Überfluss noch befreundeten Bloggern. Eine bekannte, formalisierte Form solcher Selbstvergewisserung sind die Stöckchen, die immer wieder geworfen und manchmal sogar zu ganzen Bäumen (Blog-Speak: „Stöckchentracker„) zusammengebastelt werden. Ein Stöckchen ist eine Art Kettenbrief für Blogger, der als Alibi für die unersättliche Neugier gilt, man (Blogschreiber wie -Leser) dem anderen entgegen bringt, der diesen oder jenen supertollen, aufgemotzten, genial geschriebenen oder lustigen Blog aufgebaut hat. Je persönlicher die Details, umso besser, scheint man (mit gewissen Grenzen) zu denken.

Manche machen sich auch in eigenen Beiträgen Gedanken darüber, warum sie online so viele Details von sich Preis geben, warum es sie interessiert, von anderen private Vorlieben und Gewohnheiten zu erfahren …

Ich hab dazu auch so meine Thesen. Sie wechseln je nach Stimmung:

  • Blogger sind Nerds, die nichts anderes machen, als vorm PC/Mac zu hocken, Pizza und Coke in sich reinzuschlingen und nach Nachrichten zu fahnden, die sie auf ihren Blogs recyceln können (Marke „schlecht kaschiertes News-Recycling“, Mehrwert < oder = Null).
  • Blogger sind Schreibende, die mich und die Welt mit ihren rhetorischen Perlen bereichern. Ohne Blogs wäre keiner nichts und jeder alles, äh: ohne Blogs geht es nicht.
  • Blogger sind Voyeure, die ihre Neigung in der Gesellschaft nicht unsanktioniert ausleben können und daher sogenannte „social software“, Web 2.0 und Ähnliches brauchen, um im Privatleben anderer herumschnüffeln zu können (frei nach BKA und Innenministerium, bloß ohne Strafandrohung) und sich selbst zugleich aufs bis aufs Hemd entblößen zu können. Motto: Besser notorisch als gar nicht berühmt.
  • Blogger sind Autisten (echte Autisten bitte nicht beleidigt sein ob dieser Beleidigung!), die dick und hässlich sind, keine Freunde haben und deshalb nach Freundschaften im Netz hungern, Aufmerksamkeit suchen und darum immer gegenseitig in ihren Blogs kommentieren, damit der andere es auch tut. Bevorzugt bloggen sie auf A-Blogger-Blogs, um dadurch mehr Traffic und damit potentielle Freunde auf das eigene Blog zu locken. Sie sind Lock-Blogger, um nicht zu sagen Block-Logger …
  • Blogger sind Technik-Freaks (eng verwandt mit Typ 1, dem Nerd), die alles Neue ausprobieren müssen und deshalb statt HTML, Flash, Java oder Ajax halt WordPress, Movable Type oder Typo3 ausprobieren. Auf die Inhalte kommts nicht an, nur aufs Basteln.
  • Blogger sind Wortkünstler und Philosophen. Es merkt bloß keiner, dass ihr Geschreibsel Selbstzweck ist.
  • Blogger sind unausgefüllte Teenies, denen das Bloggen der Ersatz fürs Kreischen beim Beatles-Konzert ist. (Mit diesem Vorurteil haben wir wohl aufgeräumt, aber das soll’s ja immer noch geben …)
  • Blogger sind unverbesserliche Internet-Kapitalisten aus der Ära der Dotcom-Blase, die immer noch hoffen, rasch das schnelle Geld machen zu können.
  • Blogger sind ganz normale Fachleute, die ihr Spezial-Wissen geldlich oder unentgeltlich (warum eigentlich hie ein d, aber da ein t?) mit anderen teilen

Sonst noch was? Da ich gerade (nach langer Zeit mal wieder) Scheibenwischer gesehen und dazu Sekt getrunken habe, ist wohl ein wenig rheinischer Frohsinn in den Beitrag eingebrochen … (als Gast meine persönliche Neuentdeckung im Kabarett: Claus von Wagner mit einer überzeugenden Erklärung dafür, warum „die Jugend von heute“ sich nicht zu Protesten aufraffen kann).

Trotzdem will ich noch der Pflicht genüge tun und den einen oder anderen zitieren, der sich zu diesem immer gleichen, immer wieder neuen Thema seine Gedanken macht:

  • Schwerin, Schwerin mit „Du bist Blog oder Lob der Leidenschaft
  • einige weitere Kategorien, eher Negativbeispiele, beschreibt Don Alphonoso unter dem Titel „Die 5 beliebten Methoden für Blog-Awareness„. Seine einfache These des wahren Bloggens: „Man schreibt, weil man es braucht und will.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
  • Authentizität und Persönlichkeit kann man auch und sogar als wichtige Akquise-Faktoren bezeichnen
  • manch einer entwickelt, ausgehend von der Frage, ob sie zu lebenslänglichem Bloggen verurteilt sind, eine regelrechte Blog-Philosophie

Die Menschen, die mich immer wieder nach dem Sinn der Bloggerei befragen, macht dieser Beitrag bestimmt nicht klüger. Aber mich vielleicht ;-).

Nachtrag (21.2.07): Ach, ich vergaß, es ist ja seit einiger Zeit nicht mehr in, sich Blogger zu nennen oder gar darüber zu schreiben. Aber das ist ja auch nur wieder eine Regel, eine Sprachregel nämlich: man „schreibt ins Internet“. Ehrlich gesagt klingt mir das zu sehr nach „Was bin ich cool und den gewöhnlichen Bloggern überlegen“. Außerdem widerstrebt es meinem Sprachgefühl. Das Internet ist nun mal nichts, wo man reinschreiben kann. Viel zu abstrakt.

Ach, ist mir eigentlich egal. Zu Blog-Ablehnern oder Internet-fernen Menschen sage ich künftig einfach: „ich pflege meine Website“ (klingt eher nach Haustier, und damit liege ich auch gar nicht so falsch, oder? Das Blog als Edel-Tamagochi).